Falschspieler

Im "Dokumentar"-Film (egal ob als Porträt, Bericht oder Reportage usw.) kommt, bis auf wenige Ausnahmen, die Realität vorwiegend als inszenierte zu Wort und Bild. Weder dokumentiert der Dokumentafilmer, noch filmt er (in der Regel). Inhalte, Protagonisten, Drehorte und Aufnahmestil (Einstellungen usw.) werden im Vorfeld (teilweise recherchiert von Co-Autoren, Praktikanten oder Aufnahmeleitern) bzw. unmittelbar vor Drehbeginn besprochen. Die Kamera zeigt dann, aus einer bestimmten Perspektive, was im jeweils gewählten Bildausschnitt sichtbar ist. Sie zeigt nie die Wirklichkeit, wie sie ist (oder zum Aufnahmezeitpunkt war) sondern eins von (unendlich?) vielen möglichen Abbildern. Auch die Realität des Bilder-Machens mit einer weiteren Kamera zu filmen, wie es inzwischen, v.a. bei FS-Interviews, Mode geworden ist, ändert daran nichts. Es entstehen immer nur Abbilder von Abbildern von Abbildern… usw.

Schnitt, Endbearbeitung und Vertonung komplettieren die, zwar objektiv notwendige, aber eben nicht als solche erkennbare Fälschung. Was also – mit falschem Etikett versehen – am Ende dem   (FS-)Publikum vorgeführt wird, ist die Vorspiegelung falscher Tatsachen im Wortsinn.

Was sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ereignet oder geschieht, was also der Fall ist, lässt sich objektiv nicht darstellen. Die Wirklichkeit als eindeutige (und objektiv vermittelbare) Abfolge von Tatsachen existiert nur als (intersubjektive) Idee oder Vorstellung; in Wirklichkeit existiert die Wirklichkeit objektiv genauso wenig wie die Welt oder gar die Wahrheit.

Je ungeklärter (weil abstrakt und folglich vieldeutig) solche und ähnliche Begriffe wie  Freiheit, Glück, Vernunft oder Nachhaltigkeit notwendigerweise sind, desto irrealer, unbegreiflicher und unfassbarer werden sie – sehr zur Freude der vielen Verfasser öffentlicher Reden. Und im Handumdrehen entsteht daraus jederzeit und überall der Stoff, mit dem all die Dampf-Plauderer und Sonntagsredner glauben, ihre sinnentleerten Texte garnieren zu müssen.


"Sei selbst dein Trost." Hölderlin: "Hyperion"