bookmark_borderUNHEILIGE Nächte

Von Zeit zu Zeit ist größtmögliche Stille im Kopf und dessen unmittelbarer Umgebung so erwünscht wie notwendig, um vielleicht dem Unbegreiflichen wenigstens (?) Töne entlocken zu können, da es sich schon ein- für allemal jenseits des Vorstellbaren, jedenfalls in weiter Ferne, jeglichen Blicken entzogen zu haben scheint.

Dann mag es über kurz oder (lieber noch) lang geschehen, dass fast wie von selbst eine Art Versuchsanordnung entsteht, darin, ähnlich wie beim Schachspiel, mit den Hirnströmen und dem, was sie mitzuführen imstande sind, intuitiv und in selbst-bestimmter Weise experimentiert werden kann, um gedanklich möglichst oft früher, zumindest aber rechtzeitig, an den wichtigen Brennpunkten zur Stelle zu sein, als all die vorgestellten Gegner, Verhinderer und Feinde des geglückten Lebens.

Ohne Angst kein Leben, gefangen und frei, befreit und befangen im lebenslangen Aus-dem-Weg-Schieben der kleinen und größeren Ängste, fast immer unvorhersehbar, unerhofft in jedem Fall – nichts natürlicher, wenig unbezweifelbarer als all die Stufen, Grade und Variationen jener elementaren ANGST VOR DEN ABGRÜNDEN?

Und gleichzeitig, und dennoch: Das wieder und wieder sich wiederholende Aufsuchen jener verlockenden Orte und Gegenden, die sich – für alle Fälle! – bereit zu halten scheinen, um den großen Sprung, ein unbefreites Hinabstürzen, immerhin zu ermöglichen.

So entdeckt (oder markiert) die Angst am deutlichsten das Leben als ein höchst riskantes Spiel, mit dem Unterschied zu anderen, dass dieses – zuende gespielt – nur Verlierer vom Feld schleichen lässt. Bis dahin werden Mitspieler dringend benötigt, nicht zuletzt, um die Gegenspieler abzulenken, weil nur so die eine oder andere Partie zu gewinnen ist.

Was wäre eigentlich verloren, wenn als Ergebnis konsequenten Denkens oder unbestechlichen Philosophierens schließlich kaum mehr bliebe, als die Hoffnung, die ganze Anstrengung des Begriffs und Begreifens könnte sich wenigstens insofern gelohnt haben, um für möglich zu halten, dass es sich in seinen wesentlichen Ergebnissen doch geirrt haben möge?

„Wer nicht verzweifeln kann, der muss nicht leben.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

bookmark_borderNachtgespräch der Freundinnen

Nacht: Findest du nicht, dass viel zu viel (und viel zu oft völlig grundlos) von dir und in deinem Namen gesprochen wird?

Wahrheit: Mag sein, aber wie es aussieht, genügt es nicht mehr, dass alles Mögliche einfach nur da ist; es muss auch wahr sein, damit es geglaubt werden kann. Und wenn dann erst mal so ein richtig fester Glaube entstanden ist, kommen immer mehr Wahrheiten hinzu…

Nacht: …und dann wird wahr gemacht, was später niemand mehr wahr haben will, nicht wahr? Aber nun sag endlich: Was an dir ist denn nun das Wahre, das ein jeder unbedingt glaubt, verkünden zu müssen?

Wahrheit: Alles, alles ist wahr bei mir, seit jeher, so wie alles frei ist bei der Freiheit oder schön bei der Schönheit…

Nacht: …schon gut! Aber du sagst ja selbst, dass es so viele Wahrheiten gibt, täglich neue?

Wahrheit: Ich sage nur, dass die Wahrheit wahr ist – nicht mehr und nicht weniger.

Nacht: Und woher weißt du das und wie bist du zu diesem Wissen gekommen?

Wahrheit: Ich weiß es allein durch mich selbst, allerdings nicht, auf welche Weise dies geschehen ist.

Nacht: Und das ist wirklich wahr?

Wahrheit: Aber ja – wie könnte ich lügen?

Nacht: Die Wahrheit kann nicht lügen?

Wahrheit: Wer weiß? Wenn alles möglich ist, dann ist es natürlich auch möglich, dass…

Nacht: …nicht alles möglich ist, ich weiß. Aber das ist jetzt alles bestimmt wieder nur eines deiner Sprachspiele, nicht wahr?

Wahrheit: Klar, was sonst?

Nacht: Jetzt mal im Ernst: Kannst du nun lügen oder nicht?

Wahrheit: Wenn’s der Wahrheitsfindung dient?

„Jener gute alte Grieche (Lysander = 4. Jh. v. Chr.) sagte, die Kinder spielten mit Knöchelchen und die Männer mit Worten.“ 1)

„…dass ich nur als ein Fragender und Unwissender spreche…Ich lehre nicht, ich berichte.“ 2)

1) 2) Michel de Montaigne: „Essais“ Manesse Verlag, Zürich 1992 (8)

bookmark_borderNichts Neues vom Nichts heute Nacht

Die Sprache kennt ihre Benutzer; auch jene, die sie sich dienstbar zu machen verstehen, meist sogar, auf welche Weise und zu welchem Zwecke dies geschieht. Deshalb ist z.B. der Satz: „Ich entschuldige mich“ zwar semantisch sinnlos, weil er etwas behauptet, was objektiv unmöglich ist. So wie Schulden (Wurzel und Ursprung der davon abgeleiteten Moralkategorie) kann auch Schuld nur erlassen (oder durch Strafe „gesühnt“, ursprünglich: bezahlt) werden, mal ganz abgesehen davon, dass seine Einlösung durch keine reale Instanz nachprüfbar ist bzw. wäre. Ungeachtet dessen finden all die „Entschuldigungen“  tagtäglich ungerührt vielfältigste Verwendung.

So weit ich weiß und mir zu denken möglich ist, sind (aus sprachlogischen Gründen) über das Nichts keine Aussagen möglich, außer der, dass keine Aussagen möglich seien usw…. Weil mit jedem solcher Sätze (eingeschlossen! den hier formulierten natürlich) offensichtlicher wird, dass Begriff und Bezeichnung des Nichts in unauflösbarem Widerspruch zueinander stehen, schrumpft es, näher betrachtet, zu einem fast hilflosen / ratlosen (?) Versuch zusammen, die Negation alles Seienden zum Ausdruck zu bringen, ohne sprachlogisch selbst Teil davon „sein“ zu können. Dass etwas, was als Nichts bezeichnet wurde und wird, nur sein kann, sofern und weil es als Nicht-Seiendes für möglich gehalten wird, gehört zu den vielen – immer wieder entdeckbaren – wundervollen Widersprüchen der Sprache, die entweder nicht Schritt zu halten vermag mit dem Denken ihrer Benutzer oder aber das Widersprüchliche menschlichen Kommunizierens an sich und generell immer wieder durchblitzen lässt.

Doch warum kann ich dennoch sagen: „(Wie) aus dem Nichts erschien…“? Weil damit unmittelbar ein Bild erzeugt wird oder entsteht? Warum kann ich mir nicht sicher sein?

Aber die Zahlen, so ist doch ständig zu hören, sprächen eine andere, eine deutliche Sprache? Die Zahlen könnten überhaupt nicht lügen, wären gar unbestechlich; den Zahlen, mehr noch: den durch sie geschaffenen Fakten könne sich niemand verschließen, verweigern oder entziehen?

In dieser Welt und ihrer Sprache gibt es auch nichts mehr zu erzählen oder zu bedenken. Dort ist „faktisch“, etwa als „STUDIE“, bereits alles bekannt, erforscht, erklärt und eingeordnet. Das eifrig gesammelte Material wartet völlig gedankenlos auf seine Veröffentlichtung.
Indessen: Scheitern die Tag für Tag unternommenen Versuche zur Vermessung der Welt nicht tagtäglich aufs Neue am Unberechenbaren?

bookmark_borderIn fünfundzwanzigtausend Nächten

Was grundsätzlich gilt, dessen Gültigkeitsberechtigung ist grundsätzlich anzuzweifeln.

Der Sprache auf der Spur und ihren Spuren rückwärts folgend, gelangt man irgendwann unmittelbar auch dorthin, wo sie sich einst mit Notwendigkeit entwickelte und bis heute immer neu entsteht: in einen Teilbereich des menschlichen Gehirns. Und was von dort an Sprachmaterial und -elementen gedanklich nach außen drängt, muss, bei genauerer Betrachtung (und nicht erst seit der Erforschung der Tätigkeit neuronaler Netze) für alles andere als frei gelten; und was schließlich, mehr oder weniger „gedankenlos“, zur Sprache kommt, ist es vermutlich noch weniger.

Warum also gibt es nicht längst Sprachdetektive, z.B. als zusätzliche Kategorie innerhalb des Kabaretts, die täglich, oder wenigstens wöchentlich, aufdecken, wie sehr die völlig „freimütig“ (?) geäußerten Volksverdummungs-Vokabeln, von „Null-Wachstum“ bis „Zukunftsfähigkeit“ oder von diversen Stimmungen und Eigenschaften, die sinnloserweise jedenfalls als „nicht wirklich“ solche… usw. charakterisiert werden, an der fortgesetzten Konstruktion einer politisch-medialen Realität beteiligt sind, die sich zunehmend und jenseits von jeglichem Wahrheitsgehalt breitgemacht hat.

Der Sprache auf der Spur? Warum nicht zunächst mal jedem (großen) Wort misstrauen, weil jedes Wort, indem es Kind der Menschen einer bestimmten Zeit ist, verbergen könnte, welches Interesse bei seiner Entstehung, sozusagen: verdeckt im Hintergrund, die Regie führte?

 

Nachgerufen

Berichte, wie die Augen schauen.

Erzähle, wie die Hände schweigen.

Vergiss nicht, wie das Unsichtbare

bereit ist für der Dinge Zauber.

 

Nicht zuletzt, sondern ganz zuerst geht es um die Bedeutung der und des

Unbedeutenden bzw. des scheinbar Bedeutungslosen, um die allersorgsamste

Pflege der Nachbarschaft zu den kleinen Dingen.

(⇒ Nietzsche und die Griechen…)

bookmark_borderSPÄTE Nächte

Für das Glück (oder Unglück) der späten Jahre ist ihr Erreichen nur die Voraussetzung. Alles Weitere muss gegen ungeahnte Widerstände, Zweifel und diverse materielle wie physische Hürden erkämpft werden. Nein, Glück hat – in diesen Tagen – mit dem, was zufällig geschieht oder nicht, sehr wenig zu tun.

Manchmal, still am Fenster sitzend, siehst du den Wartenden dort unten zu, bis es Zeit ist, aufzustehen, um nach dem Unfertigen Ausschau zu halten, weil nur dies Hoffnung bedeutet; während die Vollendung jedes Werkes mit dem Zweifel leben muss, ob es tatsächlich gelungen sei. Nimm dir also wenigstens die Zeit zum Schauen, wenn du es schon nicht vermagst, sie dir zu lassen.

Und vielleicht bedeutet Glück – innerhalb des Schauens und nicht erst zuletzt:

Ein lebenslanges Unterwegs-Sein zur Heimat der Augenblicke, der einzigen Heimat, die ganz allein auf dich wartet, immer und immer irgendwo anders, so, wie das eine Mal die ungemähte und margeritenweiß leuchtende Wiese vor dem Baumhaus am Ende des immer enger werdenden Tales; ganz nah daneben, in den letzten, vom heraufziehenden Unwetter gefächerten Sonnenstrahlen, der mit braunem Gebüsch umsäumte Weiher als Spiegel des schwarz quellenden Wolken-Himmels und kurz darauf über den sandigen Uferweg wirbelndes Geäst. Dies alles wurde Heimat, in einem Augenblick, blieb es auch, bis jetzt, wie anderes. Warum nur?

Warum nicht klaglos einschlafen? Warum nicht fraglos enden?

DENN:

Welcher Sinn könnte überhaupt noch begründbar geltend gemacht werden für die ratlose Frage, wie es möglich war (und werden konnte), dass ein kleiner Teil der Menschheit längst jegliche Macht und Mittel besitzt, um mit jedem Tag wahrscheinlicher werden zu lassen, dass die Erde als Lebensraum für die gesamte Menschheit unumkehrbar zerstört wird? Genügt es daher,  „das Ganze“ weder als das Wahre noch als das Unwahre zu kennzeichnen, wie aus unterschiedlichen philosophischen Perspektiven behauptet wurde, sondern als das Zerstörbare? Und ist das Zerstörbare nicht seit jeher nur die „Oberfläche“ des Unzerstörbaren, ohne dass eine Frage nach letzterem sinnvoll formulierbar wäre? Nein, es genügt (mir) nicht und ja, es gibt (und ich habe) Fragen ohne Ende, nichts als Fragen.

Der Widerspruch als ein Zeichen der Wahrheit der Dinge? (Hegel)

Ihre Widerspruchslosigkeit als Zeichen ihrer Unwahrheit?