bookmark_borderNachtgespräch der Freundinnen

Nacht: Findest du nicht, dass viel zu viel (und viel zu oft völlig grundlos) von dir und in deinem Namen gesprochen wird?

Wahrheit: Mag sein, aber wie es aussieht, genügt es nicht mehr, dass alles Mögliche einfach nur da ist; es muss auch wahr sein, damit es geglaubt werden kann. Und wenn dann erst mal so ein richtig fester Glaube entstanden ist, kommen immer mehr Wahrheiten hinzu…

Nacht: …und dann wird wahr gemacht, was später niemand mehr wahr haben will, nicht wahr? Aber nun sag endlich: Was an dir ist denn nun das Wahre, das ein jeder unbedingt glaubt, verkünden zu müssen?

Wahrheit: Alles, alles ist wahr bei mir, seit jeher, so wie alles frei ist bei der Freiheit oder schön bei der Schönheit…

Nacht: …schon gut! Aber du sagst ja selbst, dass es so viele Wahrheiten gibt, täglich neue?

Wahrheit: Ich sage nur, dass die Wahrheit wahr ist – nicht mehr und nicht weniger.

Nacht: Und woher weißt du das und wie bist du zu diesem Wissen gekommen?

Wahrheit: Ich weiß es allein durch mich selbst, allerdings nicht, auf welche Weise dies geschehen ist.

Nacht: Und das ist wirklich wahr?

Wahrheit: Aber ja – wie könnte ich lügen?

Nacht: Die Wahrheit kann nicht lügen?

Wahrheit: Wer weiß? Wenn alles möglich ist, dann ist es natürlich auch möglich, dass…

Nacht: …nicht alles möglich ist, ich weiß. Aber das ist jetzt alles bestimmt wieder nur eines deiner Sprachspiele, nicht wahr?

Wahrheit: Klar, was sonst?

Nacht: Jetzt mal im Ernst: Kannst du nun lügen oder nicht?

Wahrheit: Wenn’s der Wahrheitsfindung dient?

„Jener gute alte Grieche (Lysander = 4. Jh. v. Chr.) sagte, die Kinder spielten mit Knöchelchen und die Männer mit Worten.“ 1)

„…dass ich nur als ein Fragender und Unwissender spreche…Ich lehre nicht, ich berichte.“ 2)

1) 2) Michel de Montaigne: „Essais“ Manesse Verlag, Zürich 1992 (8)

bookmark_borderNovembernacht-Splitter

„Sie wandern in dicken Nebeln an dem mit Schilf bewachsenen See: aber niemals werden sie sich ohne den Gesang zu der Wohnung der Winde erheben.“
Ossian (Schottischer Barde 3. / 4. Jh.) über: „Die Geister der Toten“

Die Nacht verbirgt, beschützt und offenbart zugleich die Geheimnisse als unverratbare Rätsel.

Eine Philosophie, die entstanden wäre, ohne die Dunkelheit der Nacht (sowie diese an und für sich) zu kennen, hätte vermutlich weniger Wahrheitsmöglichkeiten als eine, die vom Tageslicht nichts wüsste – glaubt ein Nachtmensch.
Warum also nicht von Zeit zu Zeit, von Nacht zu Nacht den nie versiegenden Wahrheiten all der unerzählten Geschichten folgen und von Wort zu Wort, von Frage zu Frage, von Sehnsucht zu Sehnsucht, von Schmerz zu Schmerz, also von Tag zu Tag voranschreiten?
Nie fraglos und – als mitspielender Spielverderber – allein das Verlieren zu Weg und Ziel erklären, weil doch sogar die Liebenden in jedem Fall verlieren?
Doch wäre das nicht gerade so, als käme es nur darauf an, die Niederlagen genießen zu lernen?
Am Ende also kaum mehr als resignativer Zynismus des (oder der) mit sich selbst Beschäftigten, angesichts der vielen Millionen, die nichts (mehr) oder nie irgendetwas zu verlieren haben oder hatten?
Wieviel verzweifelte FREIHEIT als „Einsicht in die Notwendigkeit“ (Friedrich Engels) ist nötig, um nach einer der Niederlagen einfach liegen zu bleiben; und sei es nur, um dem nächsten Niederschlag zu entrinnen, also ganz und gar nicht den interessierten Einflüsterern zu folgen, ein „guter Verlierer“ zu sein?
Indessen: Nur wenn und indem gegen jegliche Interpretation (oder gar Instrumentalisierung) der FREIHEIT wegen begründeten Ideologieverdachts ermittelt und Einspruch erhoben wird, mag und kann es gelingen, den ihr einst zugedachten Begriff, als einen mit sich selbst identischen, zu bewahren und jeder Herrschaft des Menschen über den Menschen, wie sehr sie sich auch moralisch ummäntelt, mit unnachgiebigem Widerstand zu begegnen.
In Anbetracht der jeglicher Herrschaft förderlichen und willkommenen „schweigenden Mehrheit“ wird deutlich, weshalb es vom Schweigen schon im Alten Testament hieß, dass es Gold sei. (Für all die „Gaucks“ und sonstigen Werte-Händler)

bookmark_border25 Jahre Deutsche Oktober-Revolution

Mit zutiefst empfundener Bewunderung und Ehrfurcht, sehr geehrter Herr Bundespräsident und hochgeschätzter Freiheits- und Widerstandskämpfer, habe ich Ihren so klug und, wie immer angemessen gewählten, ja: auch bewegenden Worten am 9. Oktober im Leipziger Gewandhaus, anlässlich des Festakts zur 25-jährigen Wiederkehr der friedlichen Revolution in der DDR gelauscht. Und sofort waren mir all die Bilder der Leipziger Montagsdemonstrationen vor Augen: Wie Sie, manchmal sogar an der Seite unserer Frau Bundeskanzlerin, nur mit brennenden Kerzen bewaffnet, sich in vorderster Reihe an die Spitze des aufbegehrenden Volkes der DDR wagten, stets mutig der Gefahr ins Auge schauend, wie viele andere Revolutionäre, verhaftet und viele Jahre eingesperrt zu werden.
Aber auch lange vor den Tagen des Oktobers und Novembers 1989 haben Sie sich tatkräftig für all die verfolgten Bürgerrechtler und / oder Schriftsteller wie Rudolf Bahro, Jürgen Fuchs oder Erich Loest eingesetzt. Auch wenn Sie dabei nicht immer erfolgreich waren, ist es Ihnen immerhin gelungen, eine Ausreise Ihrer Söhne durchzusetzen, die sogar als Besuch bei Ihnen in Rostock wieder einreisen durften.
Nein, Herr Bundespräsident, Sie gehören nicht zu den sog. „Wendehälsen“; denn auch nach der Wiedervereinigung haben Sie als Leiter der „Behörde für die Stasi-Unterlagen“ viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter dort weiterbeschäftigt. Schließlich kannten die sich am allerbesten aus, was dann allerdings und leider von Wolf Biermann und Jürgen Fuchs kleinlich moniert wurde; ja sogar im Roman von letzterem zum Untertitel „Die Firma VEB Horch und Gauck“ (1999) führte.

 

Man kann es eben nicht immer allen recht machen. Wie sehr Sie dennoch unbeirrt für die Minderheiten unseres Landes eintreten, zeigten Sie ein weiteres Mal eindrucksvoll, als Sie den, v.a. von der linken Presse überall diffamierten Thilo Sarrazin für den Mut lobten, seine sozialdarwinistischen Thesen öffentlich zu propagieren. Loben möchte ich Sie zu guter Letzt nun auch noch einmal nachdrücklich dafür, dass Sie das größer und ökonomisch immer stärker gewordene Deutschland erst kürzlich dazu ermunterten, eine bedeutendere Rolle in der Welt – ja, auch: militärisch – anzustreben. Und wenn – im schlimmsten Fall – dann wieder Särge aus den Kriegsgebieten dieser Erde in die Bundesrepublik eingeflogen werden, weiß ich jedenfalls, dass Sie immer, wirklich immer die richtigen Worte finden werden, um unser aller zutiefst empfundenes Mitgefühl zu bekunden, nicht wahr?

 

„Man kann den Staat nicht hinter sich lassen, indem man ihn verlässt.“
Volker Braun: „Wir befinden uns soweit wohl. Wir sind erst einmal am Ende. Äußerungen“
Frankfurt / Main 1998 (Suhrkamp Verlag)

bookmark_borderSprachspiele

Beim Spiel mit der Sprache ist stets damit zu rechnen, dass die Sprache, als vorläufiges Resultat aller bisherigen Sprecher und Schreiber, durchaus aktiv mitspielt. Sie fordert schiefe Vergleiche heraus, verleitet zu unangemessenen Übertreibungen, mehr oder weniger gelungenen Zweideutigkeiten, mitunter sogar zu armselig-albernen Wortspielen (von Komikern wie Willy Astor) oder sie lässt Lügen (nicht nur von „Personen des öffentlichen Lebens“) allein schon anhand der Formulierung als solche erahnen. Die Sprache überzeugt eben auch – und nicht zuletzt – in ihrer Rolle als raffinierter Spielverderber.
Was heute richtig ist oder dafür gehalten wird, kann schon morgen falsch sein oder dafür gehalten werden. Und wenngleich diese Plattitüde längst jedem klar sein sollte (oder wenigstens könnte), wird das von Politikern jeglicher Couleur aktuell für richtig Gehaltene gern als die („alternativlos“) einzig mögliche Wahrheit verkündet,  welche die Verkündenden dann, selbstredend (also: sich selbst zuredend…) und um jedweden Zweifel schon im Voraus für unzulässig zu erklären, zusätzlich noch als ihre „feste Überzeugung“ ausgeben. Dass eine „feste Überzeugung“ weder etwas über den Wahrheitsgehalt noch über die Richtigkeit einer Behauptung auszusagen vermag, gerät angesichts der geradezu inflationären „festen Überzeugungen“ im politischen Tagesgeschäft zunehmend aus dem Blickfeld.

Und so kommt es, wie es kommen muss: dass ständig irgendwelche Politiker – mit jedem Recht auf Wahrhaftigkeit – als Lügner oder (Wahl)-Betrüger bezeichnet werden dürfen.

„Wir müssen erkennen, wie die Sprache für sich selbst sorgt.“

(Ludwig Wittgenstein: Tagebücher 1914 – 16, Hervorh. i. Orig.)

bookmark_borderFalschspieler

Im "Dokumentar"-Film (egal ob als Porträt, Bericht oder Reportage usw.) kommt, bis auf wenige Ausnahmen, die Realität vorwiegend als inszenierte zu Wort und Bild. Weder dokumentiert der Dokumentafilmer, noch filmt er (in der Regel). Inhalte, Protagonisten, Drehorte und Aufnahmestil (Einstellungen usw.) werden im Vorfeld (teilweise recherchiert von Co-Autoren, Praktikanten oder Aufnahmeleitern) bzw. unmittelbar vor Drehbeginn besprochen. Die Kamera zeigt dann, aus einer bestimmten Perspektive, was im jeweils gewählten Bildausschnitt sichtbar ist. Sie zeigt nie die Wirklichkeit, wie sie ist (oder zum Aufnahmezeitpunkt war) sondern eins von (unendlich?) vielen möglichen Abbildern. Auch die Realität des Bilder-Machens mit einer weiteren Kamera zu filmen, wie es inzwischen, v.a. bei FS-Interviews, Mode geworden ist, ändert daran nichts. Es entstehen immer nur Abbilder von Abbildern von Abbildern… usw.

Schnitt, Endbearbeitung und Vertonung komplettieren die, zwar objektiv notwendige, aber eben nicht als solche erkennbare Fälschung. Was also – mit falschem Etikett versehen – am Ende dem   (FS-)Publikum vorgeführt wird, ist die Vorspiegelung falscher Tatsachen im Wortsinn.

Was sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ereignet oder geschieht, was also der Fall ist, lässt sich objektiv nicht darstellen. Die Wirklichkeit als eindeutige (und objektiv vermittelbare) Abfolge von Tatsachen existiert nur als (intersubjektive) Idee oder Vorstellung; in Wirklichkeit existiert die Wirklichkeit objektiv genauso wenig wie die Welt oder gar die Wahrheit.

Je ungeklärter (weil abstrakt und folglich vieldeutig) solche und ähnliche Begriffe wie  Freiheit, Glück, Vernunft oder Nachhaltigkeit notwendigerweise sind, desto irrealer, unbegreiflicher und unfassbarer werden sie – sehr zur Freude der vielen Verfasser öffentlicher Reden. Und im Handumdrehen entsteht daraus jederzeit und überall der Stoff, mit dem all die Dampf-Plauderer und Sonntagsredner glauben, ihre sinnentleerten Texte garnieren zu müssen.


"Sei selbst dein Trost." Hölderlin: "Hyperion"